Hey ChatGPT, empfiehl mir eine Kanzlei mit Fachgebiet...
14. März 2023 – Tobias Steinemann
Ich hatte eine ausführliche Unterhaltung mit ChatGPT. Mich interessierte, ob mir das Tool eine sinnvolle Empfehlung für eine Anwaltskanzlei mit einer Expertise in einem bestimmten Fachgebiet geben kann. Und: Basierend auf welchen Kriterien, ChatGPT die vorgeschlagenen Kanzleien auswählt. Das Ergebnis zeigt: Die künstliche Intelligenz wird auch neue Anforderungen an das (digital) Legal Marketing stellen.
März 2023: Wenn wir Fragen haben, wenden wir uns an Google. Die Suchmaschine spuckt innert Sekunden eine nach Relevanz gefilterte Auswahl an Webseiten aus, die zu unserer Suchanfrage passen. Genial, wertvoll und in unser aller Leben tief implementiert.
Der kometenhafte Aufstieg der künstlichen Intelligenz stellt diesen Prozess erstmals in Frage. Lange war undenkbar, dass ein anderes Tool Google tatsächlich Konkurrenz machen kann. So weit sind wir zwar noch nicht, aber es scheint zumindest möglich, dass wir unser Suchverhalten ändern.
Hinweis: Die nachfolgenden Ausführungen sind keine qualitative Beurteilungen der Fähigkeiten der künstlichen Intelligenz. Sie beziehen sich auf einen Austausch mit dem von open.ai kostenlos zur Verfügung gestellten Chat-Modell (ChatGPT-3, Version 14.03.2023). Der Artikel gibt Denkanstösse zum künftigen Suchverhalten von Zielgruppen und daraus allenfalls entstehenden Anforderungen an die Legal Marketing Teams.
Was hat das mit Legal Marketing zu tun?
Da alle Zielgruppen Google nutzen, ist klar, dass alle Unternehmen versuchen, ihre Inhalte so zu optimieren, dass diese bei Google weit vorne landen. Im digitalen Marketing ist die Suchmaschinenoptimierung (SEO) zu einem zentralen Baustein geworden. Das funktioniert, indem technische, inhaltliche und strukturelle Parameter auf der eigenen Webseite optimiert werden. Zudem versucht man, von externen Pages möglichst viele Backlinks auf die eigenen Inhalte zu gewinnen.
Der Kampf um mehr Sichtbarkeit via SEO basiert folglich auf dem aktuellen Suchverhalten der User mit Google. Nehmen wir an, das Suchverhalten ändert sich und die Zielgruppen entscheiden sich, künftig bei ChatGPT oder einer anderen Tool künstlichen Intelligenz nachzufragen. Die Vermutung liegt nahe: In diesem Fall müssen wir auch unsere Vermarktungsstrategien anpassen.
Daher wollte ich wissen:
- Wie reagiert ChatGPT, wenn ich nach einer Empfehlung für eine Kanzlei im Markenrecht in Zürich frage.
- Und nach welchen Kriterien beurteilt es, welche Anwaltskanzleien mit empfohlen werden.
Kanzleien für Markenrecht in Zürich
Diese Kanzleien empfiehlt ChatGPT
Die Antwort: Keine. ChatGPT traut sich diese Empfehlung nicht zu. Als Quelle für ein Testimonial scheidet diese öffentlich verfügbare Demo-Version schonmal aus.
Exkurs: Es gibt natürlich Sprachmodelle von open.ai, die sich eine Empfehlung durchaus zutrauen. Darauf gehen wir an dieser Stelle aber nicht ein.
Hier die ganze Antwort der aktuell verfügbaren Software:
Ok, mein Fehler... Ein zweiter Versuch:
Diese Kanzleien findet ChatGPT
«Welche Kanzleien in Zürich mit einer Spezialisierung im Markenrecht findest du?» Für diese Anfrage ist das Tool schon offener und gibt mir drei Kanzleien zur Auswahl: Kellerhals Carrard, Vischer und NKF.
Drei Grosskanzleien. Das ist ziemlich Main Stream – soweit wären wir mit einer Google-Suche wahrscheinlich auch gekommen. Auffallend ist aber erstmal: Die Liste hier ist deutlich kürzer als die grosse Anzahl der Suchresultate bei Google. Warum hat ChatGPT diese Kanzleien ausgewählt und nicht andere? Dazu unten mehr.
Keine Grosskanzlei? ChatGPT findet auch Boutiquen
Bevor wir uns diesem «Warum» widmen noch ein anderer Ansatz: Vielleicht möchte ich mich nicht von einer Grosskanzlei beraten lassen.
Also habe ich ChatGPT gefragt, ob es uns Boutique-Kanzleien in Zürich mit einer Spezialisierung im Markenrecht finden kann. Das Tool musste etwas länger überlegen (rechnen), nur um dann zu verkünden «Yes, there are several boutique law firms in Zurich that specialize in trademark law». Angeber.
Kanzlei egal? Diese Anwälte nennt ChatGPT
Zum Schluss fragen wir der Vollständigkeit halber noch nach spezifischen Anwält:innen. ChatGPT findet wieder «many lawyers» und listet die folgenden fünf Herren auf (eine Diversitätsstrategie kennt das Tool offenbar noch nicht):
Wie aber hat ChatGPT diese Kanzleien ausgewählt?
Das Marketingziel deiner Kanzlei besteht darin, die Sichtbarkeit zu erhöhen. Übersetzt bedeutet das: Du versuchst, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass ChatGPT deine Kanzlei in dieser Liste nennt. Um aktiv darauf hinzuwirken, müssen wir verstehen, nach welchen Kriterien, ChatGPT diese Kanzleien ausgewählt hat.
Da ich keine andere Möglichkeit sehe, als diese Frage direkt mit dem Tool zu klären, haben ChatGPT und ich weiter diskutiert.
Die folgenden Ausführungen basieren auf der Anfrage mit den Resultaten der Grosskanzleien.
Schritt 1: Zufall?
Ich frage ChatGPT zuerst, ob es sich bei der Auswahl der Grosskanzleien um eine zufällige Auswahl aus allen Kanzleien in Zürich mit Spezialisierung im Markenrecht handelt. Das Tool verneint und gibt an, dass die Auswahl auf seinem Wissen über «law firms that are known to specialize in intellectual property and trademark law in Zurich.» beruht.
Schritt 2: Kriterien?
Die Auswahl ist also nicht zufällig. Mich interessieren daher die Auswahlkriterien. Das Tool gibt an, folgende fünf Kriterien berücksichtigt zu haben:
- Reputation
- Expertise
- Size (Ressourcen)
- Client Feedback
- Online Presence
Das liest sich wie eine Checkliste, die auch potentielle Klient:innen (in Fleisch und Blut) prüfen, bevor sie eine Anwaltskanzlei im Markenrecht (oder einem anderen Fachgebiet) beauftragen.
Die künstliche Intelligenz unterscheidet sich hier erneut von der klassischen Suchmaschine. Der Google-Algorithmus lässt gewisse Faktoren zwar ebenfalls einfliessen. Eine Beurteilung der Grösse resp. der verfügbaren Ressourcen fliesst aber bspw. kaum in das Google-Ranking einer Kanzlei ein.
Eine Kanzlei, die genannt werden möchte, muss bei diesen fünf Kriterien folglich gut abschneiden. Um diese Parameter beeinflussen zu können, brauchen wir aber weitere Informationen.
Schritt 3: Quellen?
Aus der letzten Antwort der künstlichen Intelligenz geht zwar hervor, welche Faktoren beurteilt wurden, aber nicht, welche Quellen ChatGPT für deren Einschätzung konsultiert hat. Natürlich habe ich nachgefragt.
Wir beginnen bei der Reputation und erfahren von ChatGPT, dass folgende Quellen berücksichtigt wurden:
- Legal Directories – ChatGPT gibt sogar Beispiele: Chambers and Partners, Legal 500, Best Lawyers
- Client Reviews – auch hier gibt's Beispiele: Avvo, Yelp, Google Reviews
- News Articles – selbst auf Nachfrage liefert das Tool hier keine konkreten Beispiele.
ChatGPT informiert uns freundlicherweise zudem, dass nur frei zugängliche Information genutzt werden konnte. Trotzdem erhalten wir hier einen Resultatvorschlag, der all diese Quellen berücksichtigt. Die angezeigten Resultate basieren damit nicht wie bei Google auf einer Beurteilung, die sehr stark auf Faktoren auf der eigenen Webseite zurückgreift.
NB: Die Qualität der Beurteilung dieser Quellen ist damit noch nicht belegt!
Zur Beurteilung der Expertise nennt ChatGPT folgende Quellen:
- Law Firm Website
- Legal Directories – die kennen wir bereits.
- Professional Associations – hier nennt das Tool Beispiele: International Trademark Association (INTA), Swiss Association for Intellectual Property (SSIP). Chapeau!
- Case Law and Court Filings – auf Nachfrage empfiehlt die künstliche Intelligenz in diesem Punkt, Portale wie LexisNexis, Westlaw und PACER zu konsultieren.
Warum nicht Bär & Karrer?
Zum Schluss habe ich das Ganze umgedreht. Wenn mir schon drei Grosskanzleien angegeben wurden, wollte ich wissen, warum die anderen nicht gelistet waren. Stellvertretend für die weiteren Grosskanzleien habe ich ChatGPT also gefragt, warum Bär & Karrer nicht angegeben wurde.
Hier die Antwort – die man hoffentlich auch an der Brandschenkenstrasse unbesorgt zur Kenntnis nimmt:
Nochmals nachgefragt
Wir erinnern uns: ChatGPT hat behauptet, die ausgegebenen Resultate seien kein Zufall gewesen. Ich hab also die initiale Anfrage nochmals gestellt: «Can you find law firms in Zurich specialized in trademark law?»
Wieder war die künstliche Intelligenz hilfsbereit und meldete folgende Kanzleien zurück:
- Wenger & Vieli
- Isler & Pedrazzoni
- BianchiSchwald
- Rentsch Partner
- Vischer
Ich nehme das an dieser Stelle einfach mal so zur Kenntnis.
Fazit
Das Folgende nehme ich aus dieser Unterhaltung mit:
- Sollte die künstliche Intelligenz in unserem Suchverhalten durchsetzen, wird dies Auswirkungen auf die Anforderungen im Marketing haben. Die Dimensionen werden vielseitiger. Um digitale Sichtbarkeit zu gewinnen, müssen wir zusätzliche Parameter berücksichtigen resp. beeinflussen.
- Vielleicht dominiert im digitalen Legal Marketing bald nicht mehr «Search Enginge Optimization (SEO)» sondern «Artificial Intelligence Optimization (AIO)».
- SEO-Kriterien spielen heute, morgen und auch im Bereich der künstlichen Intelligenz eine wichtige Rolle. Es lohnt sich daher auf keinen Fall, jetzt die SEO-Arbeit zu vernachlässigen.
- ChatGPT in der angebotenen, kostenlosen Version gibt mir heute keine schlaue Empfehlung. Ich kann Kanzleien finden aber eine Bewertung daraus abzuleiten, ist nicht möglich.
- Die Convenience der Suche ist bereits heute spürbar. Ich muss mir, nicht wie bei Google, aus den SERPs zusammenreimen, auf welche Page ich klicken möchte. Ich erhalte direkt mehrere Vorschläge mit allen Kontaktdaten.
- Der Austausch mit der künstlichen Intelligenz will geübt sein. Diverse Fragen führen nicht zur gewünschten Antwort. Missverständnisse scheinen vorprogrammiert. Hier müssen wahrscheinlich beide Seiten noch dazulernen.
Wird die Suche nach einer guten Anwaltskanzlei einfacher? Durchaus vorstellbar. Freunde der Singularität können sich schon vorbereiten und damit beginnen, ihre Marketingstrategien auf diese neuen Gegebenheiten auszurichten. Wenn du daran glaubst, dass die künstliche Intelligenz die Welt auf den Kopf stellt, dann ist jetzt der Zeitpunkt, um dir einen Vorsprung herauszuarbeiten.
Das nächste Update bei ChatGPT steht bevor. Vielleicht müssen wir uns daher schon bald wieder unterhalten. Beep boop...